Kapitel XVIII und XIX
Fortsetzung
Frau Radhabai Deshmukh
"Eine alte Frau mit Namen Radhabai, die Mutter von Khashaba Deshmukh, hörte von Babas Ruhm und kam mit Leuten aus Sangamner nach Shirdi. Sie erhielt Babas Darshan und war sehr zufrieden. Sie liebte Baba sehr und beschloss, Ihn als ihren Guru anzunehmen und von Ihm Unterweisung und Mantren zu bekommen. Sie beschloss, sich zu Tide zu fasten, falls Baba sie nicht annähme. Drei Tage lang blieb sie in ihrer Unterkunft und nahm weder Nahrung noch Wasser zu sich. Ich war sehr erschrocken über dieses Martyrium der alten Frau und legte für sie bei Baba Fürbitte ein: "'Oh Deva', sagte ich, 'was hast Du da gemacht? Du lässt so viele Personen hierher kommen. Du kennst jene alte Frau. Sie ist sehr hartnäckig und hängt ganz und gar von Dir ab. Sie will sich zu Tode hungern, wenn Du sie nicht annimmst und belehrst. Falls etwas Ernsthaftes passiert, werden die Leute Dich beschuldigen. So habe Erbarmen mit ohr, segne sie und unterweise sie.' Als Baba die Entschlossenheit der alten Frau sah, ließ er sie zu sich rufen. Er veränderte ihre Gesinnung, indem Er sie folgendermaßen ansprach: 'Oh Mutter (1), warum setzt du dich unnötigen Qualen aus und näherst dich dem Tode? Eigentlich bist du meine Mutter und ich bin dein Kind. Habe Mitleid mit mir und höre mich an. Ich erzähle dir meine eigene Geschichte. Sie wird dir gut tun, wenn du aufmerksam zuhörst.
Ich hatte einen Guru, der ein großer Heiliger war und äußerst barmherzig. Lange, sehr lange habe ich ihm gedient, dennoch flüsterte er mir kein Mantra ins Ohr. Ich hatte den festen Wunsch, ihn nie zu verlassen, sondern bei ihm zu bleiben, ihm zu dienen und um jeden Preis von ihm unterwiesen zu werden. Doch er hatte so seine eigene Art. Zuerst ließ er meinen Kopf scheren und verlangte von mir zwei Paisa dakshina. Ich gab sie ihm sofort. Nun könnte man fragen: Wenn mein Guru vollkommen war, warum sollte er dann um Geld bitten und wie konnte man ihn 'wunschlos' nennen? Darauf antworte ich offen, dass ihn Geld niemals interessierte. Was hatte er damit zu tun? Seine zwei Paisa waren erstens fester Glaube und zweitens Geduld und Ausdauer. Diese gab ich ihm und er freute sich. Ich war mit meinem Guru zwölf Jahre zusammen, er hat mich erzogen. An Nahrung und Kleidung mangelte es nicht. Er war voller Liebe oder besser gesagt, er war die Verkörperung der Liebe. Wie kann ich das beschreiben? Er liebte mich über alle Maßen. Selten ist ein Guru wie er. Wenn ich ihn anschaute, schien er tief in Meditation versunken zu sein, und wir beide waren dann von Seligkeit erfüllt. Tag und Nacht schaute ich ihn an, ohne Hunger und Durst zu verspüren. Ohne ihn fühlte ich mich ruhelos. Ich hatte keinen anderen Meditationsgegenstand, noch gab es für mich irgend ewas anderes, als meinem Guru zu dienen. Er war meine einzige Zuflucht. Meine Gedanken waren immer auf ihn ausgerichtet. Das ist das eine Paisa-dakshina; Geduld oder Ausdauer (saburi) ist das andere Paisa-dakshina. Ich diente meinem Guru geduldig und sehr lange. Geduld (saburi) wird dich über den Ozean der weltlichen Existenz führen. Saburi entfernt alle Sünden und Nöte, befreit auf verschiedene Weise von Katastrophen, beseitigt alle Furcht und lässt dich schließlich Erfolg haben. Saburi ist die Schatzkammer guter Eigenschaften, der Gefährte guter Gedanken. Beständigkeit im Glauben (nishta) und Geduld oder Ausdauer (saburi) sind die Zwillingsschwestern, die einander innig lieben.
Mein Guru verlangte nie etwas anderes von mir. Er vernachlässigte mich niemals, sondern beschützte mich zu allen Zeiten. Ich lebte mit ihm zusammen. Manchmal war ich nicht bei ihm, aber trotzdem fühlte ich immer seine Liebe. Stets schützte er mich durch seinen Blick, so wie die Schildkröte ihre Jungen durch ihren liebevollen Blick nährt, unabhängig davon, ob sie nahe bei oder sind oder fern am anderen Ufer des Flusses.
Oh Mutter, mein Guru lehrte mich nie ein Mantra, weshalb soll ich dir dann ein Mantra ins Ohr flüstern? Denke nur daran, dass der liebevolle Blick des Gurus uns glücklich macht, so wie der Blick der Schildkrötenmutter ihre Jungen glücklich macht. Versuche nicht, von irgendjemandem Mantra oder Unterweisung (upadesha) zu bekommen. Mache mich zum alleinigen Objekt deiner Gedanken und Taten und du wirst ohne Zweifel das spirituelle Ziel des Lebens (paramartha) erreichen. Schau mit ganzem Herzen zu mir und ich schaue in gleicher Weise zu dir. So wahr wie ich in dieser Masjid sitze, sage ich die Wahrheit, nichts als die Wahrheit. Man muss weder spirituelle Übungen (sadhana) praktizieren noch in den sechs Shastras bewandert sein. Hab nur Glauben und Vertrauen in deinen Guru. Glaube fest daran, dass der Guru der alleinige Handelnde ist. Gesegnet ist, wer die Größe seines Gurus kennt und ihn als die Verkörperung von Vishnu, Shiva und Brahma (trimurti) ansieht.' Diese Worte überzeugten die alte Dame; sie verneigte sich vor Baba und gab ihr Fasten auf."
Hemadpant war aufs Angenehmste überrascht, als er dieser Geschiche voller Aufmerksamkeit zuhörte und deren Bedeutung und Angemessenheit erkannte. Er war von Kopf bis Fuß zutiefst bewegt. Seine Freude war übergroß, als er dieses wunderbare göttliche Spiel von baba vernahm. Sein Hals war wie zugeschnürt und er war unfähig, auch nur ein einziges Wort zu äußern. Shama, der ihn in diesem Zustand sah, fragte ihn: "Was ist los mit dir? Warum bist du so still? Wie viele der zahllosen lilas von Baba soll ich dir denn noch beschreiben?"
In diesem Moment begann die Glocke in der Masjid zur Mittagsandacht und Arati-Zeremonie zu läuten, und Shama und Hemadoant eilten zur Masjid. Bapusaheb Jog hatte gerade mit der Andacht begonnen. Die Frauen waren oben in der Masjid und die Männer standen unten im offenen Hof. Von Trommeln begleitet sangen alle aus voller Kehle das Arati im Chor. Shama ging hinauf und zog Hemadpant mit sich. Er setzte sich rechts neben Baba und Hemadpant direkt vor Ihn. Baba schaute sie an und fragte Hemadoant nach dem dakshina von Shama. Er entgegenete, dass Shama Vrneigungen (namaskara) statt der Rupien gab und dass er persönlich hier sei. Baba sagte: "In Ordnung. Jetzt möchte ich wissen, ob ihr beiden geredet habt. Und wenn ja, erzählt mir alles, worüber ihr gesprochen habt." Hemadoant kümmerte sich nicht im Geringsten um den Lärm der Glocken, Trommeln und Gesänge, er wollte unbedingt berichten, worüber sie gesprochen hatten und so begann er zu erzählen. Baba war begierig es zu hören und Er beugte sich vor. Hemadoant sagte, dass alles sehr erfreulich und wunderbar gewesen sei, besonders die Geschichte von der alten Dame und dass er während des Zuhörens dachte, dass Sein lila doch unbeschreiblich sei und Er ihn durch diese Geschichte wahrlich gesegnet habe. Daraufhin sagte Baba: "Die Geschichte ist wunderbar. Wie wurdest du gesegnet? Ich würde gerne alle Einzelheiten von dir erfahren. Erzähle mir alles darüber." Hemadpant gab also die ganze Geschichte wieder, wie er sie kurz vorher vernommen hatte und wie sie einen bleibenden Eindruck in seinem Gemüt hinterlassen hatte. Als Baba dies hörte, war Er sehr erfreut und fragte ihn: "Hat die Geschichte dich beeindruckt und hast du ihre Bedeutung erfasst?" Er antwortete: "Ja, Baba, die Unruhe meines Gemüts ist vergangen. Ich habe wirklichen Frieden und Ruhe gefunden und habe nun den wahren Pfad erkennen dürfen." Baba sagte: "Meine Methode ist recht einzigartig. Merke dir diese Geschichte gut und sie wird dir sehr nützlich sein. Um das Wissen vom Selbst zu erlangen, ist Meditation erforderlich. Wenn du das ununterbrochen übst, werden die Gedanken (vritti) beruhigt. Da du schon nahezu ohne Wünsche bist, solltest du über den Herrn meditieren, der in allen Geschöpfen ist. Wenn die Gedanken konzentriert sind, kann das Ziel erreicht werden.
Meditiere immer über mein formloses Wesen, das Wissen, Bewusstsein und Glückseligkeit ist. Wenn du das nicht kannst, meditiere über meine Gestalt, von Kopf bis Fuß, so wie du sie hier Tag und Nacht siehst. Während du darin fortschreitest, werden deine Gedanken konzentriert und der Unterschued zwischen dem Meditierenden (dhyata), dem Vorgang der Meditation (dhyana) und dem Gegenstand der Meditation (dheya) verliert sich dann. Der Meditierende wird eins mit dem höchsten Bewusstsein und geht in Brahman auf. Die Schildkrötenmutter ist auf der einen Seite des Flusses und ihre Jungen sind auf der anderen Seite. Sie gibt ihnen weder Milch noch Wärme. Ihr bloßer Blick ist Nahrung für sie. Die Jungen tun nichts anderes, als an ihre Mutter denken (sie meditieren). Der Blick der Schildkröte ist wie ein Regen von Nektar für die Jungen, die einzige Quelle der Nahrung und des Glücks-. Ähnlich ist das Verhältnis zwischen Guru und Schüler."
Als Baba diese letzten Worte sprach, hörte der Arati-Gesang auf und alle riefen wie aus einer Kehle laut: "Heil unserem Sadguru Sai Maharaj, der Sein, Weisheit und Glückseligkeit ist!"
Stellen wir uns vor, liebe Leser, dass wir jetzt inmitten der Menge in der Masjid stehen und in diesen Ruf mit einstimmen.
Nach der Arati-Zeremonie wurde geweihte Speise (prasada) verteilt. Bapusaheb Jog ging, wie üblich, voran und gab Baba, nachdem er Ihn respektvoll begrüßt hatte, eine Handvoll Kandiszucker. Baba schob das Ganze in Hemadpants Hände und sagte: "Wenn du dir diese Geschichten zu Herzen nimmst und dich gut an sie erinnerst, dann wird dein Zustand so süß wie der Kandiszucker. Alle deine Wünsche werden erfüllt und du wirst glücklich sein." Hemadoant verneigte sich vor Baba und bat Ihn inständig: "Bitte, sei mir gütigerweise immer so geneigt und segne und beschütze mich." Baba erwiderte. "Höre diese Geschichte, meditiere darüber und verinnerliche ihren Sinn, dann wirst du immer über den Herrn meditieren, und Er selbst wird sich dir offenbaren."
Liebe Leser! Damals erhielt Hemadpant das Kandiszucker-prasada und wir erhalten jetzt den Nektar dieser Geschichte als Geschenk (prasada). Lasst uns nach Herzenslust davon trinken, darüber meditieren und stark und glücklich sein durch Babas Gnade. Amen!
Verneige dich vor Shri Sai - Friede sei mit allen
aus: Shri Sai Satcharita, aus dem Englischen von Irmgard Streich-Buda, Sathya Sai Vereinigung e.V. 2002
zu beziehen über
www.sathyasai-buchzentrum.de